Entstehung

Es war einmal...

... der Kleine Muck in Salzgitter-Thiede

Jedes Märchen beginnt mit "Es war einmal..." so auch die Geschichte unseres Kindergartens.

Im April 1994 war die Kindergartensituation nicht nur in Salzgitter desolat. Alle Kitas (gängige Abkürzung von Kindertagesstätte für Nichteingeweihte......) hatten sehr lange Wartelisten. Kinder wurden bereits am Tag der Geburt angemeldet, damit sie die Chance hatten, wenigstens im letzten Jahr vor der Einschulung vielleicht einen Platz zu bekommen. Da es zu diesem Zeitpunkt noch keinen Rechtsanpruch auf einen Kindergartenplatz gab, die Kommunen die Investitionskosten in Neubauten  -um das Platzangebot zu erhöhen- scheuten, war die Lage für die Kinder fast hoffnungslos.

Zu diesem Zeitpunkt entstand hier in Thiede ein Neubaugebiet mit rund 250 Wohneinheiten, überwiegend Eigenheime und Eigentumswohnungen. Es wurde mit einem Zuzug von rund 150 Kindern im Kindergartenalter gerechnet (wie städtische Statistiken so etwas berechnen, ist uns bis heute eine Rätsel geblieben...). Das entspricht zwei Kitas mit drei Gruppen. Aber es gab keine Aussichten auf eine grundlegende Änderung des Platzangebotes. So fanden sich einige Eltern zusammen, die -nichtsahnend, was das für ein Stein ins Rollen kommen würde- ziemlich blauäugig etwas für die Kinder tun wollten. Sie beschlossen einen privaten Spielkreis zu gründen.

Sie mussten jedoch bald erkennen, dass Deutschland das Land der Paragraphen und Vorschriften ist. Man kann nicht einfach in irgendwelchen Räumlichkeiten Kinder betreuen. Angesichts dieser Tatsachen, beschlossen sie zunächst einmal bis Weihnachten 1994 einen Versuch zu starten. Mit Glück kamen wir in einer Mietwohung unter, die nicht optimal war, aber von den zuständigen Behörden akzeptiert wurde. Wie der geneigte Leser ja nun haarscharf geschlossen hat, uns gibt es immer noch und Weihnachten 1994 ist schon eine Zeit her. Diese Wohnung wurde für 6 Jahre unser "zuhause".

Zunächst fingen wir mit 10 Kindern an und schon nach einem Jahr erhöhten wir, auch angeregt durch das städtische Jugendamt, auf 25 Kinder und waren damit ein richtiger Kindergarten. Zunächst bekamen wir nur einen Mietkostenzuschuß von der Stadt, den Rest mußten wir selber finanzieren. Nach einem weiteren Jahr wurden unsere Gesamtkosten von der Stadt übernommen und wir waren wie alle anderen Kita auch ein fester Bestandteil des städtischen Kita-Angebots.

Aufgrund unserer geringen Geldmittel, waren und sind wir immer Weltmeister im Improvisieren. Dadurch, dass ein Elternverein Träger des Kindergartens ist, können wir uns immer schnell und auch spontan nach den Elternwünschen richten und müssen nicht erst den langen Instanzenweg eines großen Trägers einhalten. Diese sind ja häufig noch schlimmer als der Behördenweg.....so mußten wir uns im Laufe der Jahre nie über mangelnde Nachfrage beklagen.

1996 kam der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz und -weil ja so plötzlich für die Kommunen, denn der Termin stand ja erst seit 4 Jahren fest- bei der Stadt eine hektische Aktivität wie die Kindergartenplätze geschaffen werden konnten. Die Lage entspannte sich deutlich. Für uns als kleinste Einheit in der Salzgitteraner Kita-Landschaft wurde es deutlich schwieriger, weil wir mit unserer Vormittagsgruppe etwas am Bedarf vorbei gingen, doch unsere Räumlichkeiten liessen uns keinen Spielraum für andere Gruppenformen. Die entspannte Lage äusserte sich auch darin, dass wir zum ersten Mal noch freie Plätze hatten.

Nun wurde nach Möglichkeiten gesucht, einer drohenden Schliessung und der Verteilung der Kinder auf andere Kitas auszuweichen. Das Angebot mußte dringend verändert werden. Unsere Idee war schließlich die zusätzliche Schaffung eines Hortes, für Schulkinder von Klasse 1 bis 4. Nur konnten wir das nicht in der Wohnung machen. Also mußten wir uns auf die Suche nach neuen Räumlichkeiten begeben, was von der Stadt mit Argusaugen beobachtet wurde..sie fürchteten neue Kosten...als Alternative zur Schließung (ein Alptraum für jede Kommune, die sparen muß....). Nach vielen Verhandlungen, dem Ausloten verschiedenster Möglichkeiten und immer wieder Rückschlägen, beschlossen wir: wenn es nicht anders geht, bauen wir eben.

Ein völlig utopischen Ansinnen, denn unser Eigenkapital belief sich auf  20.000 Mark, angesichts der Kosten für einen Kita-Neubau mehr als lächerlich. Doch wir sind ja nicht umsonst Weltmeister der Improvisation: wenn wir schon kein Geld haben, dann müssen uns eben Spenden helfen. Und das schier Unmögliche konnte tatsächlich realisiert werden. Von der Verwaltung mit Unglauben und der Politik mit völligem Entsetzen beachtet, stellten wir unsere Idee vor: mit arbeitslosen Jugendlichen im Rahmen einer Qualifizierungs-Abeitsbeschaffungsmassnahme sollte dieses Haus gebaut werden. Die Kosten für das Personal (die Jugendlichen und die Sozialpädagogin, den Bauleiter und eine halbe Verwaltungskraft für die Lohnabrechnungen) übernahm das Arbeitsamt. Die Idee war ebenso simpel wie genial und sowohl Politik (schließlich waren hier in dem Jahr Landtagswahlen.....) als auch die Verwaltung stimmten schließlich zu. Uns wurde in einem riesigen Neubaugebiet ein Bauplatz auf Erbpachtbasis durch die Stadt zur Verfügung gestellt sowie ein Baukostenzuschuß in Höhe von rund 150.000 Mark. Durch Sachkostenzuschüsse des Arbeitsamtes und unser Eigenkapital standen uns etwa 210.000 Mark zur Verfügung.

Am 1. April 2000 startete unser Abenteuer Neubau. Ein ausrangierter Bauwagen des städtischen Fuhrparks war nun für acht Monate -solange durfte nur gebaut werden, denn das war die Dauer der ABM- das Zentrum des Baugeschehens. Dass drei Tage vor Baubeginn die schon stehende Statik und Grundkonzeption für den Neubau völlig verworfen wurde und statt über ein Haus mit einem Stahlgerüst (Salzgitter ist eine Stahlstadt, für diejenigen, die es nicht wissen und der Stahl war die erste Spende, die wir bekamen) plötzlich über ein Holzhaus verhandelt wurde, wird hier nur am Rande erwähnt...ist aber sympthomatisch für die "Flexibilität", die man benötigt, wenn man mit nichts ein Haus bauen möchte.

Heute können wir mit Stolz sagen, dass es hier in der Region sicher kein zweites Haus gibt, das nun wirklich in reiner Handarbeit erstellt wurde. Die erste Maschine auf dem Bau war ein Zementmischer. Ob das Streifenfundament oder den 3,50 Meter tiefen Anschluß zu Abwasserkanal, alles wurde mit Spaten und nicht Baggern gegraben (der Verschleiss an Spaten war zugegebenermassen sehr hoch...). Bezeichnenderweise wurde unsere Baustelle von den anderen Firmen, die hier in dem Gebiet bauten, mit großer Verständnislosigkeit ("so baut heute doch kein Mensch mehr"..) und Verwunderung betrachtet. Wahrscheinlich wurden vor zweihundert Jahren die Häuser kaum anders gebaut, als unseres. Denn Maschinen, heute auf dem Bau unentbehrlich, gab es auf unserer Baustelle nicht. Verwunderung riefen schließlich auch die beiden weiblichen Wesen (unsere Sozialpädagogin und die Vereinsvorsitzende) hervor, die nun ganz offensichtlich jeden Tag im Büro (=Bauwagen) saßen und häufig auch noch geschickt wurden, Material zu kaufen, zu betteln, zu organisieren (aber im ehrlichen Sinne organisieren.....).

Für die beiden ein echtes Erlebnis und wie wir feststellen mußten, für unsere Lieferanten auch. Vor allem bei der Raiffaisengenossenschaft in Salzgitter-Barum, einem unserer Hauptsponsoren, riefen die "Einkaufstouren" der beiden immer wieder größte Heiterkeitsausbrüche hervor. Wurde die Einkaufswut der beiden gar zu unsinnig, griffen sie dann doch immer wieder regulierend ein.....(beispielsweise muß frau wirklich nicht Spezialstahlstifte für Gashochdruckkessel für 400 Mark kaufen, wenn es die gleiche Menge für den normalen Einsatz auch für 15 Mark gibt...). Jedoch konnten wir eine Menge Lieferanten für unsere Idee begeistern und bekamen entweder phantastische Rabatte oder das Material ganz umsonst. Allein die Tatsache, dass wir unser Haus mit 10 arbeitslosen Jugendlichen bauten, die überwiegend keine Erfahrung auf dem Bau hatten, rief sehr große Hochachtung bei den Firmen hervor und motivierte sie, uns zu unterstützen.

Das größte Lob gilt ganz sicher den Jungs, vor denen wir sehr gewarnt worden waren. Denn sie seien ja nicht umsonst arbeitslos. Hier müssen wir nur sagen, dass sich sicher nur ganz wenige "Erwachsene" bereiterklärt hätten, unter den Bedingungen, unter denen die Jungs arbeiten mußten, zu arbeiten. Sie haben vom ersten Spatenstich bis zur Pflanzung der Sträucher und Bäume alles selber gemacht. Nur einige wenige Fachfirmen wurden eingesetzt, und diese haben eigentlich oft den Jungs nur gezeigt, wie es zu machen war und diese haben es dann gemacht. Und nur ihrem Engagement, ihrer Motivation und ihrer ungeheuren Flexibilität ist es zu verdanken, dass der Bau nicht nur in acht Monaten fertiggestellt wurde, sondern, dass wir schon nach 6 Monaten in unserem neuen Haus den Kindergartenbetrieb aufnehmen konnten. Etwas, das wir bei allem Zweckoptimismus, den wir ja verbreiten mußten, selber im Geheimen sehr bezweifelt hatten.

Und das Ergebnis kann sich nun wirklich sehen lassen. Das Haus hat einen Wert von weit über 400.000 Mark und wir sind mit unseren Barmitteln, bis auf einige tausend Mark, ausgekommen.Die Differenz kam über Sachspenden zusammen. Ein nicht nur für uns überraschendes und unfassbares Ergebnis.

Und was ist jetzt die Moral von der Geschichte (wie im Märchen auch....)?

Wir wollten auch unseren Kindern beweisen, dass es sich immer lohnt für einen Traum zu kämpfen. Wenn man etwas wirklich möchte, kann man es auch erreichen und darf sich auch von Rückschlägen nicht beeindrucken lassen. Dass heute weit mehr als 25 Kinder im Kindergarten herumtoben spricht für sich. Und wir können versichern, dass wir schon weiterträumen......

(im Märchen heisst es dann immer: "und wenn sie nicht gestorben sind, leben sie noch heute...")

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